Hermann's Brogden

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Dieser Artikel ist unter Bearbeitung. Artikel aus Sport & Design drachen 4/96 Die Erlaubnis zur Veröffentlichung von Hermann Reincke liegt vor.


Hermann's Brogden

Warum gerade dieser Drachen?


David Pelhams schönes Drachenbuch ist mir seit vielen Jahren eine liebe, unerschöpliche Gutenachtlektüre. Immer wieder genieße ich die alten Bilder und Geschichten, träume mich in sie hinein, erlebe Marco Polo wie ein betrukener Chinese auf einen riesigen EDO gefesselt in den Himmel aufsteigt, staune im Hafen von Nagasaki, wie fremde, weiße Seeleute mit viel Geschrei ihre rot-weiß-blauen Papierdrachen aufeinanderhetzen, und werde in Pococks zierlicher Kutsche von reißigen Vierleiner-Drachen in atemberaubender Fahrt üder die Schlaglöcher staubiger britischer Landstrßen gezogen.

Auf einem Foto aus dem Jahr 1908 stehe ich zwischen vielen anderen Bewunderen auf der Wiese, vor mir Charles Brogden, ein unscheinbarer älterer mann im zerknittertem Starßenanzug, der mit knotiger Hand einen großen, mehrfach geflügelten Drachen hält. Bescheiden, doch nicht ohne Stolz zeigt er uns seinen Vogeldrachen, eine Art Eddy mit Schlitzen, der Das Prinzip der Roloplans vorwegnimmt. Als abonnierter Sieger beim alljährlichen Flugwettbewerb der "Aeronautical Society" verbreitet dieser Drachen seit 1903 Furcht und Schrecken bei den etablierten Experten der königlich britschen Drachenwelt. Der Buffalo-Bill-Imitator Cody, der seine Crew vom Araberhengst herab kommandiert, der Gardemajor Baden-Powell mit seiner patentierten Rokkaku Schaukel, auch S. H. R. Salmon mit seinen schönen Rhombus Zellendrachen - gegen den unscheinbaren Charles Brogden sind sie alle ihne Chance.

Solche Gedanken bewegen mich vor dem Einschlafen. Und im Traum fliege ich Brodgens herrlichen, vielfach geflügelten Siegerdrachen.

Träume erfüllen sich nicht immer leicht. Ich suchte vergebens nach einem Bauplan. In Pelham fand ich den Plan für einen Drei-Flügel.Brogden. Einen ebenfalls dreifach geflügelten Brogden fand ich in Drachen mit Geschichte von Diem/Schmidt. Meinen vierfach geflügelten Truamdrachen gab es nur auf dem Foto in meinem Pelham Buch.

Dieses schöne Bild zeigt Brogden und seinen vierfach geflügelten Drachen, umringt von Bewunderern. Die Maßangaben wurden vom Autor berechnet und in das Bild eingetragen.

Ein Freund besorgt mir die Vergrößerung des Bildes aus dem Pelham Buch, eine Kopie aus dem Buch Le Grand Livre des Cerf-Volants von Lloyd/Thomas, erschienen bei Edition Princesse, Paris. Aus diesem Bild machte ich mit einen eigenen Bauplan.

Zunächst ergänzte ich Brogdens im Foto fehlende Füße. Dann wurde seine Körpergröße auf höchtens 180cm (mit Hut) geschätzt und als Längenmaßstab festgelegt. Mit Lineal und Taschenrechner wurden alle im Bild erkennbaren Längen und Breiten näherungsweise bestimmt und in das Foto eingetragen.

Wenn Brogden 180 cm hoch war, hat der lange Querstab des oberen Segels die Länge con 208 cm. Bei 120 Grad Knivkwinkel ergeben sich 360 cm für die Spannweite. Bei der angenommenen Neigung des Drachens von 45 Grad zur Senkrechten und bei Vernachlässigung der perspektivischen Verkürzung der vertikalen Maße berechne ich die 396 cm für die Länge des Drachens von der Spitze bis zu dem im Foto verdeckten Fußpunkt. So ergeben sich die überraschend kleinen Maße 360 x 396 cm Spannweite x Länge.

Wenn dies die Minimalmaße des fotografierten Drachens waren, wie groß wäre das denkbare Maximum? Wenn ich (wie Diem/Schmidt) mit 135 Grad Spitzlenwinkel rechne, wächst die Spannweite auf 384 cm. Wenn uns das Weitwinkelobjektiv des Fotografen eine falsche Perspektive vortäuscht, erscheinen die hinteren Segel kleiner als die vorderen. Vielleicht waren alle Segel einheitlich 94 cm hoch, dann wächst die Länge des Drachen auf 470 cm. Wenn schließlich Brogden nur 170 statt der geschätzten 180 cm groß war (mit Hut), danne ergeben sich die Maximalmaße 406 x 498 cm Sapannweite x Länge. Der fotografierte Drachen wäre dann fast ebenso groß wie Brogdens dreifach geflügelter Drachen von 1907, der mit 17 Fuß entsprechend 518 cm Länge angegeben wurde.

Dies ist der Aufriß des Brogden in den berechneten Mindestmaßen. Nicht gezeigt, aber im Foto sichtbar, ist die rückseitige Verstrebung der Querstäbe sowie das vorn in die Waageschnüre eingefügte Querholz. Unsichtbar bleibt auch die Anordnung der Waageschnüre selber. Schmidt und Diem befestigen die Waage ihres Dreiflügel-Brogden an elf Punkten, dem würden 14 Punkte für den Vierflügel-Brogden entsprechen. Pelham hingegen skizziert eine einfache Dreischenkelwaage. In der Zeichnung unsichtbar bleibt auch der doppelte Knivk im Kiel, der der Bug- Heccksegel etwas steiler gegen den Wind stellt und so den Flug des Drachens stabilisiert.

Wer große Drachen liebt, wird sich den hier gezeichneten Original-Brogden bauen, vielleicht sogar in der Maximalausführung 406 x 498 cm.

Ich mag die kleineren Drachen, daher habe ich die Minimalmaße genommen und halbiert. Diese verkleinerte Version der Brogden hat sich inzwischen sehr gut bewährt, und ihren Bau will ich hier beschreiben.

Mein Zeil war es nicht, den schönen alten Drachen in der historischen Technik nachzubauen. Ich wollte vielmehr versuchen, Brogdens Idee mit unseren heutigen Mitteln umzusetzen, mit Spinnaker und Carbon. Durch sinnvollen Einsatz von modernen Bauteilen entsehen oft einfachere, schönere und leistungsfähigere Konstruktionen, als die für unsere Drachenväter mit ihren damaligen Mitteln relisierbar waren. Wir bruachen für den Brogden keine Aluminiumknoten, keine Verstrebungen, keine 14 Waagepunkte. Wir bauen einen leichten, einfach aufzubauenden Drachen mit kleinem Packmaß, der wenig kostet und der auch ohne Schwanz mit jedem Wind zurechtkommt.

Seine Proportionen entsprechen in etwas den Original, aber im Detail gibt es erhebliche Abweichungen:

Anders als Bild 1 und 2 gezeigt, haben die großen Segel samlich die gleiche Höhe.

Das kleine Vorsegel wurde vom Großsegel getrennt, um den "Roloplan-Effekt" des durch getrennte Segel erhöhten Auftriebs noch zu verstärken.

Die Quersteben sind nicht gepfeilt sondern durch Sapnnschnüre nach hinten gebogen und durch Schnüre auf Abstand gehalten. Sie werden ganz locker, nur durch Ringe, mit dem Kielstab verbunden. So fliegt der Drachen leichter und sicherer als eine völlig starre Konstruktion mit aufwendigen Aluminiumknoten.

Das Waagesystem ist ganz einfach, dreischenklig wie von Pelham beschreiben. Das kleine Hecksegel wird infolge der sehr lockeren Mittelwaage bei starkem Wind nach vorne gezogen.

Wer den Drachen in Originalgröße bauen möchtem braucht natürlich stärkere, aber keine doppelt so dicken Stäbe. Er wird die Durchbiegung der breiten oberen Querstäbe duch je eine lockere Querwaage begrenzen, das ergibt eine einfache Siebenschenkelwaage.

Anstelle der üblichen Muffen werden lange, kompatible Mittelrohre verwendet, in welche die überraschend dünnen Querstäbe fast bis zur Mitte hineingeschoben sind. Hierdurch ergibt sich in der Segelmitte ein große und stabile Auftriebsfläche mit beiderseits weicheren, der Drachen gut zentrieenden Segelflanken.

Der ebenfalls dreigeteilte Kielstab ermöglicht den von Brogden angestrebten Knick des Bug- und des Hecksegels. Unerläßlich ist ein straffer, mit Epoxidharzkleber gut gesicherter Schnurbund auf beiden Enden der Mittelstäbe, die sinst schon beim ersten Windstoß zersplittern würden. Eine gute Hilfe beim Aufbau des Drachens ist die wasserfeste Kennzeichnung der Stäbe, z.B. 1L, 2L, 3L für die Längs- und 1Q, 2Q, 3Q, 4Q für die Querstäbe.

Die angegebene Länge der seitlichen Querstäbe beinhaltet auch die Endnocken zum Schutz der Stabenden und zum Einhängen der Segelschlaufen. Die Einstecktiefe der Seitenstäbe wird der Segelbreite erst zuletzt durch das genau symetrische Aufkleben von kurzen Anschlagröhrchen angepaßt. In der Zeichnung sind die Sapnnweiten aller Querstäbe im gestreckten und im gebogenen Zustand angegeben. Dies erleichtert die richtige Einstellung der in Bild 6 dargestellten Spannschnüre.

Einige Drachenfreunde haben mich gewarnt, die Carbonstäbe könnten durch dauernde Durchbiegung ermüden und schließlich splittern. ich habe solche solche Erfahrungen nicht gemacht, obwohl mein Brogden ein lange Erprobungszeit und einige sehr schmerzhafte Abstütze erleiden mußte.

Dies ist meine persönliche Technik, die sich gerade für diesen Drachen mit seinen vielen Schlaufen und Ösen besonders anbietet und bewährt: Die Segel werden zunächst in den in Bild3 vorgegebenen Außenmaßen auf Pappe gezeichnet. Diese Umrisse werden auf die Segel-Rückseite durchgepaust, ähnlich wie im Bild gezeigt, mit genügend Paltz für die Saumzugabe. Dann werden die Segel unter Berücksichtigung der Zugabe aus dem Tuch geschnitten.

Anschließend wird eine harte, fest geflochtene oder umsponnene Schnur auf den aufgepausten Segelumriß gesteppt und mit einer zweiten Naht in den Saum hineingenäht. Wenn man alle Schlaufen aus dieser Spannschnur bildest und dann gut verknotet, werden die Zugspannungen schonend über die ganze Kantenlänge in das Segel geleitet.

Als Saum-, als Spann- und Waageschnur verwende ich eine 40 Kilo-Nylonleine mit knapp 2mm Durchmesser. Diese Schnur nähe ich im Geradstich genau in Strichmitte auf den zuvor auf das Segel gepausten Umriß, rund um das ganze Segel, unten mitte beginnend und endend. Die Schnurenden hängen etwa 15 cm aus dem Segel heraus.

Für den Nahtsaum benutze ich einen Presserfuß mit einer glatten Längskerbe in der Laufsohle. In dieser Kerbe wird die Schnur genau in der Stichmitte unter der Nadel geführt. Bei jeder Schlaufe mache ich halt und lege eine Schleife. Achtung: Die im Bild angegebene Schlaufenlänge beinhaltet einen Knoten, daher braucht jede Schlaufe 3 cm mehr als man denkt. Für die normale 3er Schlaufe werden 9, für die 4er Schlaufe 11, für die 5er Schlaufe 13 und für die 8,5er Schlaufe 20 cm Schnur benötigt.

Als Vorübung mache ich zuert nur das Bugsegel. Wenn die Schnur fest und genau auf dem Strich gesteppt ist, steche ich mit der Spitze des Lötkolbens ein feines Loch unter jedem Schlaufenanfang in das Segel. Mit einer Häkelnadel ziehe ich die Schlaufen und Enden durch die Löcher hindurch auf die Segel-Vorderseite. Jetzt wird die Nadel um 4mm zur Segel-Innenseite hin verstellt. Wenn der Presserfuß mit seiner Kerbe auf der ersten Naht reitet, entsteht eine zweite, geschlossene Saumnaht, genau parallel zur ersten und 4 mm davon entfernt. Ich lege die Zugabe streff nach innen gerollt über die Schnur und ziehe eine zweite Naht, die den Saum sauber abschließt.

Wenn ich rund um das Segel und rundum zufrieden bin, nähe ich an den wichtigsten Zugpunkten noch einmal über die Schnur, an den Segelspitzen und am Schnuranfang. Abschließend mache ich vor alle Schlaufen einen Knoten, die ich ganz eng am Segel festziehe.

Für die folgenden, großen Segel wird die Saumschnur in der gleichen Weise aufgesteppt, die Schlaufen gelegt und durch das Segel gezogen. Nur an der oberen Segelkante mache ich einen wichtigen Unterschied: Hier bildet die zweite Saumnaht aus der breiten Zugabe einen Schlauch, weit genug für fen durch den Schnurbund verdickten Querstab. Es ist ratsam, das Segel an den Schlauchenden vor dem Nähen mit Spinnaker-Reparaturband zu verstärken. Auch hier wird die zweite Saumnaht 4 mm innen neben die erste gelegt und die erste Naht an den Zugpunkten verstärkt. Dann werden solide Zugschlaufen aus Dacron oder Spinnacker an die oberen Segelkanten genäht. Die mittlere Zugschlaufe erhält einen für das Hindurchschieben des Kielstabes ausreichend weiten Ring. Nach der Näharbeit werden alle Fadenenden mit Sekundenkleber gesichert und abgeschnitten. Die vielen Schlaufen und Ösen werden eng am Segel ganz fest verknotet, sonst kann es am Zugpunkt unter Last einreißen. Eine üble Knoterei beginnt, durch das ZErren an der Schnur entstehen Blasen an den Fingern. Ich klebe mir vorbeugende Pflaster an die gefärdeten Stellen. Dann knüpfe ich die in Bild 6 sichtbaren Verbindunge, verknoe ganz locker auch die freien Enden jeder Saumschnur mit dem Ring im nachfolgenden Segel. Ich schiebe die Querstäbe in die Segel und stimme ihre Längen so ab, daß sich das Segel beim Einhägen der seitlichen Schlaufen in die Pfeilnocken ohne Spannung straff zieht. Die in den Mittelstab eingeschobenen Stäbe müssen auf beiden Seiten genau die gleiche Länge und gleiche Härte besitzen. Der dreiteilige Kielstab wird hinter den Segeln von unten nach oben durch alle Ringe und Schlaufen gefädelt und mit den Pfeilnocken in die Schlaufen am Segelende eingehängt. Jetzt ist der fertige Brogden schon zu erkennen, ähnlich dem Foto, Bild 7. Das gibt Kraft für die folgende Knoterei. Die Verbindungsleinen zwischen den Segeln sind doppelt ausgeführt. Sie werden oben mit Kreuzknoten eingehängt, und unten mit einer leicht zu verstellenden Bucht. Bitte nicht mit Schnur geizen und die Knoten zunächst noch locker lassen, um die spätere Feinabstimmung zuerleichtern. Wenn die Schlaufe am Hecksegel locker über den Nocken am Kielende gepsannt wird, sollen die Abstände zwischen den Segeln etwa den in Bild 3 angegebenen Maßen entsprechen.

Jetzt werden die äußeren Spannschnüre eingehängt und sorgfältig reguliert, bis jedes Segel außen 12 cm senkrechten Abstand zum darunter folgenden Querstab hat und die im Bild 4 angegebene Spannweite erreicht ist

Die obere lange Spannschnur hat ...